Rosa Jochmann - Ein Leben für die Sozialdemokratie und den Antifaschismus

Rosa Jochmann, eine einfache Hilfsarbeiterin, wurde zu einer der wichtigsten Mahnerinnen gegen Faschismus und Nationalsozialismus. Ihr Leben stand für den Kampf für die Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung.

Betrachtet man die Biografien von einer politikwissenschaftlichen Warte aus, so bietet sich die Möglichkeit, die gängigen Systemanalysen mit neuen Sichtweisen zu bereichern. Biografien stellen die Schnittstelle von politischen, sozialen und individuellen Zusammenhängen dar, die Dilthey als Wirkungszusammenhänge beschrieben hat, „in welchem das Individuum Einwirkungen aus der geschichtlichen Welt empfängt, unter ihnen sich bildet und nun wieder auf diese geschichtliche Welt zurückwirkt.“ Eine wertvolle und erkenntnisreiche Ergänzung für Biografien einerseits und für die Historiographie andererseits können primäre zeitgenössische Schriftquellen bitten. Einige Quellen gehören zum informellen Bereich des gesellschaftlichen Systems und bilden den sogenannten Komplex der Alltagsgeschichte. Andere, die im formellen Bereich des Systems entstehen und wie z.B. die stenografischen Protokolle des Nationalrates die Meinungsfindungs- und Entscheidungsbildungsprozesse dokumentieren, sind imstande, Auskünfte über die Wertehaltungen und Selbstverständlichkeiten, die den Gesetzwerdungsprozess beeinflussen, zu geben. Darüber hinaus gewähren sie erkenntnisreiche Einblicke in „gängige“ Wertehaltungen und weltanschauliche Positionierungen. Sie können das Bild des politischen Wirkens des Einzelnen abrunden und das Zusammenspielzwischen den Homo politicus und seinem Betätigungsfeld, wirksam in die Darstellung der gesellschaftspolitischen Abläufe einbinden. Im Falle Rosa Jochmann bedeutete die Einbeziehung ihrer parlamentarischen Tätigkeit die Möglichkeit, ihre antifaschistische Grundeinstellung, die sie auch in den Nachkriegsjahren vertrat, innerhalb der parlamentarischen Debattenaufzuarbeiten. Dies kling lapidarer als es ist, denn wenige der Opfer des Nationalsozialismus oder Austrofaschismus versuchten nach dem Krieg nicht mehr zu harmonisieren als aufzuarbeiten, waren mehr den Tätern zugewandt, als den Opfern. Mit anderen Worten: Ihr gesamtes Leben kann als politisches Manifest gesehen werden, was nicht nur - im positiven Sinne – bezeichnend für das Wirken dieser sozialdemokratischen Politikerinnen ist, sondern auch im - negativen Sinne - für die Einstellungen und Selbstverständlichkeiten, die auch nach 1945 die österreichische Politik und Gesellschaft prägten.Rosa Jochmann hat bis an ihr Lebensende nicht aufgehört, gegen die Verharmlosung und Normalisierung d er Geschichte und gegen die persönliche und gesellschaftliche „Vergesslichkeit“ einzutreten. Ihr Engagement sagt nicht nur viel über sie selbst aus, sondern viel mehr noch über den Umgang mit der Vergangenheit, mit den Opfern und Tätern und über die Leichtigkeit der Aufrechterhaltung eines beinahe selbstverständlichen Antisemitismus im politischen Diskurs.Über ihre kurze JugendRosa Jochmann wurde am 19. Julie 1901 als viertes Kind einer aus Mähren nach Wien eingewanderten Familie geboren. Ihre Jugend war von Armut und vom frühen Tot beider Eltern geprägt. Jochmanns Vater war Sozialdemokrat und sie erinnerte sich, dass er, der nie richtig Deutsch gelernt hatte, sie zu den Versammlungen der tschechischen Sozialdemokraten mitnahm. Bereits wenige Tage vor ihrem 14. Geburtstag wurde sie Hilfsarbeiterin in einer Fabrik, der „Zuckerlfabrik“ Schmidt&Söhne. Jochmann selbst bezeichnete sich als „stolze Proletarierin“, wenn sie auf die Solidarität und auf die Verbundenheit der Arbeiterschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts verwies. Die kurze Zeit der Demokratie, die Lange Zeit des Austrofaschismus und NationalsozialismusRosa Jochmanns gewerkschaftliche Arbeit stand von Anfang an im Zechen der Besserstellung der Fabrikarbeiterinnen. Dies bedeutete einen Kampf um Verbesserungen auf vielen Fronten. Die Berufstätigkeit der Frauen war auch unter der Arbeiterschaft und in der Sozialdemokratie eher geduldet als gefördert. Dies hatte zur Folge, dass Frauen in prekären Jobsituationen beschäftigt wurden und zudem der Doppelbelastung von Familie und Arbeit ausgesetzt waren. Die Einstellung der Sozialdemokratie kann mit Therese Schlesingers Ausspruch beschrieben werden, die meinte: „auch innerhalb der revolutionärsten Partei bedarf es gelegentlich einer Revolution.“Jochmann war weniger selbstbewusst, was auch in ihren Erinnerungen an ihre Rede am Parteitag 1932 zum Tragen kam: „Wir Frauen waren von dem wirtschaftlichen Elend besonders betroffen, man hatte uns sogar bei der Bemessung der Arbeitslosenunterstützung benachteiligt. Am Ende habe ich gerufen: ‚Trotz der fürchterlichen wirtschaftlichen Verhältnisse stehen die Frauen treu zur Partei‘.“ Dem wenig ausgeprägten feministischen Selbstverständnis ist wohl nicht nur der Sozialisierung Jochmanns zuzuschreiben, sondern auch der fatalen wirtschaftlichen und sozialen Situation in diesen Jahren. Die Zwischenkriegszeit war von der Wirtschaftskrise, den Bankenzusammenbrüchen und der hohen Arbeitslosigkeit, die mit einer sich immer verschlechternden sozialen Absicherung einherging, gekennzeichnet. Als im Jahre 1931 die Creditanstalt, die wie Kernbauer/Weber in ihrem Beitrag „Von der Inflation zur Depression“ darlegen, das Geschäftsjahr 1930 mit einem Verlust von 140 Mio. Schilling abgeschlossen hatte, saniert werden musste, geschah dies mit großen Entgegenkommen der Sozialdemokratie. De facto wurden die ausländischen Aktionäre geschont. Die Verluste mussten die Rothschilds, der Bund und die Nationalbank tragen. Die Arbeiterzeitung erklärte die Haltung der Sozialdemokratie laut Kernbauer/Weber mit der Furcht, „dass (im Falle eines Zusammenbruchs der Bank, Kernbauer/Weber) unsere ganze Industrie zum Stillstand kommt.“ Die darauffolgende Währungskrise destabilisierte die österreichische Wirtschaft und den Finanzsektor weiter. Kernbauer/Weber fassten die zunehmende wirtschaftspolitische Krise und die Entrechtung der ArbeitnehmerInnen mit den Worten zusammen: „Die Kollektivverträge und die sozialen Rechte der Arbeitnehmer waren den Auslandsgläubigern der Creditanstalt mindestens ebenso sehr im Wege wie den einheimischen Industriellen, die seit dem Frühjahr 1922 ununterbrochen auf der Suche nach Aufräumtrupps für den „revolutionären Schutt“ waren. …. Die ausländischen Gläubiger (die der Creditanstalt und jene des Staates, sie waren zum Teil ident) haben durch ihre maßlosen Deflationsforderungen mitgeholfen, den Boden für die Ausschaltung der österreichischen Demokratie zu bereiten.“Die Sozialdemokratie, die im Jahre 1920 in Opposition gegangen war, übersah in ihrer Überzeugung, dass der Sozialismus letztendlich gewinnen würde, sowohl ihre Marginalisierung durch den bürgerlichen Block, als auch die Zeichen der Zeit: Mit den europäischen Faschismen und dem Nationalsozialismus betraten neue Bewegungen das politische Parkett, die - antidemokratisch orientiert, sich um die Arbeiterschaft bemühten. Norbert Leser weist in seinem Artikel „Der tragische Wendepunkt“ darauf hin, dass die Unzufriedenheit der Arbeiterschaft stetig zunahm und diese das Gefühl hatte, dass die Staatssanierung 1924 auf ihre Kosten und zu ihren Lasten vollzogen wurden. „Es hatte sich also ein Potenzial der Unzufriedenheit, ja Erbitterung, angehäuft, das nach aggressiver Entladung drängte.“ Allerdings war die Sozialdemokratie nicht mehr in der Lage, diese Entladung positiv und in ihrem Sinne zu steuern.Mit den Freisprüchen der „Arbeitermörder“ am 14. Juli 1927, die als Skandalurteile verstanden wurden, war ein Grad der politischen Emotionalisierung der Arbeiterschaft erreicht, der Protestaktionen mit sich bringen musste. Am 15. Juli kam es folglich zu breit angelegten Demonstrationszügen von den Außenbezirken zum Justizpalast. Die Proteste waren jedoch unorganisiert und der sozialdemokratischen Führung gelang es weder bei den Vorbereitungen, noch bei der Durchführung der Proteste gestaltend einzugreifen. Norbert Leser verweist in diesem Zusammenhang auf die Erinnerung von Wilhelm Ellenbogen, der meinte, dass man „die Massen sich selbst“ überlies. Im Zuge der sogenannten Julirevolution wird der Justizpalast in Brand gesetzt. Der zentrale Akt liegt jedoch in der Reaktion der Polizei auf die Demonstranten. Polizeipräsident Johann Schober erteilte den Schießbefehl. Das Resultat waren mindestens 89 Tote (davon fünf Polizisten), mehr als 800 Schwerverletzte und 700 Verhaftungen. Durch die offenkundige Schwäche der Sozialdemokratie ging, wie Leser festhält, Prälat Seipel zum autoritären Kurs über. Auch Talos/Manoscheck halten in ihren Beitrag „Zum Konstituierungsprozess des Austrofaschismus fest“, dass der 15. Juli 1927 den Ausgangspunkt für die „Ausweitung der sozialen Basis und den zunehmenden Einfluss der Heimwehren bildete.“

Austrofaschismus und Nationalsozialismus

Nach dem Zusammenbruch der Demokratie und der Machtergreifung der Austrofaschisten arbeitete Rosa Jochmann innerhalb der Gruppe „Revolutionärer Sozialisten“(RS) mit. Nach den Februarkämpfen wurde die „Vereinigte Sozialistische Partei Österreichs“ (VSPÖ) gebildet, die sich ab Ende 1934 „Revolutionäre Sozialisten“ nannten. Otto Bauer, der mit Julius Deutsch „Auslandsbüro der Österreichischen Sozialdemokratie“ (ALÖS) begründete, beschrieb in der Arbeiterzeitung vom 18. März 1935 die Ziele der Vereinigung, die in der Errichtung einer sozialistischen Demokratie bestanden. Aus der Illegalität heraus, wollten sie die Revolution erreichen, waren jedoch gegenüber den austrofaschistischen Machthabern zwangsweise chancenlos. Die Verfolgung der sozialdemokratischen WiderstandskämpferInnen erreichte mit dem sogenannten Großen Sozialistenprozess ihren Höhepunkt. 28 SozialistInnen wurden wegen Hochverrats angeklagt, ein Delikt auf das die Todesstrafe oder schwerer Kerker stand. Unter den Angeklagten befanden sich u. a.: Bruno Kreisky, Otto Probst, Franz Jonas.

Im Jahre 1984, 50 Jahre nach Ausbruch des Bürgerkrieges und ihrer Verhaftung, schrieb sie: „Aber am 30. August (1934, d. V.) erwischte es mich dann. Ich hatte den Auftrag, eine Aktentasche, vollgefüllt mit Material, nach Wr. Neustadt zu bringen. Und zwar sollte ich diese Tasche in die Trafik tragen, die beim Bahnhof in der Nähe stand. In dieser Trafik war Genosse Czidlik, den ich natürlich gut kannte, und wir freuten uns sehr über die Begegnung, aber die Freude war kurz, denn ein Radfahrer hatte mich erkannt und die Polizei geholt. Beide saßen wir in einer Falle … Wir wurden dann in den Polizeikotter gesperrt, der damals kein Ruhmesblatt für Wiener Neustadt gewesen ist. … Aber dann kam der Transport ins Landesgericht I in Wien, ich wurde zu einem Jahr schweren Kerker verurteilt und Ende 1936 enthaftet.“ Im März 1938 wurde sie von der Gestapo verhaftet und nach zwei Tagen wieder freigelassen. Jochmann verweigerte die Emigration. Sie wurde am 22. August 1939 erneut von der Gestapo verhaftet und nach einigen Monaten Gestapohaft am 21. März 1940 ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück „überstellt“.

Ravensbrück

Im KZ Ravensbrück waren viele Widerstandskämpferinnen inhaftiert, wobei sich der Charakter des Konzentrationslagers jedoch mit dem Stand der Okkupations- und Vernichtungspolitik veränderte und permanent erweitert wurde. Die Arbeitskraft der Häftlinge sollte so weit wie möglich, nämlich bis zu deren Tod, ausgebeutet werden. NS-Justizminister Thierack hielt nach einer Unterredung mit Goebbels fest: „Hinsichtlich der Vernichtung asozialen Lebens steht Dr. Goebbels auf dem Standpunkt, dass Juden und Zigeuner schlechthin, Polen, die etwa drei bis vier Jahre Zuchthaus zu verbüßen hätte, Tschechen und Deutsche, die zum Tode, zu lebenslangem Zuchthaus oder Sicherungsverwahrung verurteilt waren, vernichtet werden sollen. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste.“ Jene, die nicht mehr in der Lage waren, die schwere Arbeit zu verrichten bzw. „ausselektiert“ wurden, kamen in die Vernichtungslager nach Auschwitz, Lublin etc.; ab dem Jahre 1944 wurden auch in Ravensbrück Vergasungen durchgeführt. Rosa Jochmann wurde Blockälteste des Block 1, jenes Blocks der „Politischen“, den sie gemeinsam mit Rezi Kozderova leitete. 1943 wurde sie denunziert. Sie erinnerte sich daran mit den Worten: „Ich wurde zusammen mit 32 Kameradinnen von einer deutschen Mitgefangenen verraten. Sie meldete, dass wir ‚organisieren‘, dass hieß stehlen, was natürlich gestimmt hat. Wir haben alles gestohlen, was nur irgendwie möglich war. Aber sie hat der SS auch unwahre Dinge gemeldet. Ich hätte einen Rundfunksender konstruiert und sei mit dem Schriftsteller Thomas Mann in Verbindung. …. Ich wurde zu sechs Fastenmonaten im Bunker verurteilt. Der politische Leiter der Lager-SS, Ramdohr, sagte zu mir, dass ich zur Abschreckung für die Kommunisten erschossen werde. … Ich habe vor der Erschießung große Angst gehabt, ließ sie mir aber nicht anmerken. Jedes der unzähligen und widersinnigen Verhöre endete mit der Drohung: Du wirst erschossen, als abschreckendes Beispiel für die anderen. Mit dieser Drohung lebte ich tage-, wochen- und monatelang.“

Im Frühjahr 1945 befand sich die russische Armee bereits in der Nähe des Konzentrationslagers und die Häftlinge sollten in andere Lager verlegt werden. Jochmann und sieben weitere Häftlinge konnten – zurück zum Lager – fliehen, wo bereits die Sowjetsoldaten waren.

Die politische Arbeit im Nachkriegsösterreich

Ihre Arbeit im Nachkriegsösterreich In den Monaten zwischen dem Kriegsende und der Wiederaufnahme der politischen und parlamentarischen Arbeit, standen die Anfänge der politischen Aktivitäten im Zeichen der gesamtgesellschaftlichen Demokratisierung. Die rasche organisatorische Konsolidierung der politischen Parteien des linken, bürgerlichen Lagers ermöglichten unmittelbar nach der Kapitulation des Dritten Reichs die Konsolidierung Österreich und seine Institutionen. Österreich und seine PolitikerInnen beschworen von Anfang an den Opferstatus von Österreich. Mit den Opfernmythos verweigerte die neue Republik und ihre politische Elite gleichzeitig aber auch jede Aufarbeitung der Beteiligung Österreichs und der Österreicher und Österreicherinnen am nationalsozialistischen Terror- und Gewaltregime, sowie an der Shoa.

Die Metaerzählung, dass Österreich das erste Opfer von Hitler-Deutschland gewesen sein, wurde durch das Verschweigen der Jahre ab 1934 erkauft. Das bedeutet gleichzeitig, dass die tiefe Kluft, die innerhalb der österreichischen Gesellschaft in den Nachkriegsjahren aufgrund des Austrofaschismus und des vorangegangenen Bürgerkriegs, entstanden war, verdrängt wurde und nur manchmal, in emotionalen politischen Debatten, an die obere Fläche drang. Eine dieser Debatten fand im Jahr 1946 statt, als im Nationalrat über das Bundesfinanzgesetz diskutiert und abgestimmt wurde. Rosa Jochmann kritisierte dabei den ÖVP Abgeordneten Erwin Altenburger, der sich geringschätzig über die die Arbeiterinnen während des Austrofaschismus geäußert hatte. Jochmann antwortete: „Ich hätte nur eine einzige Anfrage zu stellen, Herr Abgeordneten Altenburger, und zwar die Frage, ob vom Jahre 1934 bis zum Jahre 1938 der Arbeiter das Subjekt oder Objekt gewesen ist. Damit allerdings hatten sie es nicht notwendig, Fragebogen in den Betrieben auszuschicken, denn damals wurde jeder Arbeiter, jeder Arbeiterin, die sich zum Sozialismus bekannt hat, in den Kerker geworfen.“ Von Seiten der Volkspartei wurde dies mit dem Zwischenruf beantwortet: „Da sind sie aber nicht da gewesen!“ Jochmann war zu dieser Zeit häufig inhaftiert gewesen. Der Zwischenruf zeigt sehr deutlich, dass der oft beschworene Geiste der Lagerstrasse nur eine weitere Metaerzählung war. Dies ergab sich schon aus dem Umstand heraus, dass die Abgeordneten in unterschiedlichsten Konzentrationslager inhaftiert gewesen waren.

Völlig fehlte allerdings in den Nachkriegsjahren, und lange danach, die Solidarität der politischen Opfer des Nationalsozialismus mit den so genannten „Rassischen“. Die Jüdinnen und Juden, die die größte Opfergruppe darstellten, wurden auch von den „Politischen“ marginalisiert. So verweigerte die Republik Österreich zum Beispiel im ersten Opferfürsorgegesetze den österreichischen Jüdinnen und Juden, jener Gruppe, die den größten Leidens- und Tötungsdruck ausgesetzt gewesen war, die als selbstverständlich zu bezeichnende Aufnahme in das Gesetz. Damit verweigerte die junge österreichische Republik einen Teil ihrer StaatsbürgerInnen die Fürsorge, die als primäre Verpflichtung des Staates gegenüber seinen Bürger innen anzusehen ist. Rosa Jochmann war eine der wenigen PolitikerInnen, die diese Verweigerung, die als Ausdruck des Antisemitismus der politischen Eliten angesehen werden muss, anprangerte. Damit war sie eine rühmliche Ausnahme. Die politische Elite, die politisch Verantwortlichen für den Wiederaufbau der Republik Österreich versuchten, Jüdinnen und Juden als Opfer des Nationalsozialismus so weit wie möglich wegzublenden. Weggeblendet wurde damit nicht nur der Raub und die Enteignung der jüdischen ÖsterreicherInnern, sondern auch der Beitrag der ÖsterreicherInnen bei dieser Enteignung und der Shoa. Gleichzeitig wurde eine Harmonisierung des Opferbegriffs betrieben. Nach dem Motto: „Opfer waren wir alle“, wurde versucht, den Juden und Jüdinnen die Berechtigung, sich als Opfer des Nationalsozialismus zu bezeichnen, abzusprechen. Dieser war selbstverständlich dem Opfermythos an sich geschuldet. Gleichzeitig konnte man damit jedoch realpolitisch die Restitution zumindest in die Länge ziehen, wie eines der berühmten Zitate von Oskar Helmer verdeutlichte. („Ich bin dafür die Sache in die Länge zu ziehen“.)

Gegen die Harmonisierung des Opferbegriffs trat Rosa Jochmann vehement auf. Als im Jahre 1949 endlich das Opferfürsorgegesetz dahingehend geändert wurden, dass auch Juden und Jüdinnen als Opfer anerkannt wurden, erklärte sie, dass der große Unterschied zwischen den politisch Verfolgten und den rassisch Verfolgten darin bestand, dass die arischen Bürger eine Überlebenschance hatten, die Jüdinnen und Juden allerdings nicht. Eine Harmonisierung war damit schlicht nicht möglich. Sie hielt fest: „Wenn wir das Opferfürsorgegesetz jetzt novellieren, so machen wir ein Unrecht gut, jenes Unrecht, das die jüdische Bevölkerung unseres Landes getroffen hat. (…) Jeder von uns, der ‚Arier‘ war, konnte sich ein Hackenkreuz anstecken, so groß wie er wollte. Er konnte ruhig mit der rechten Hand stramm den Hitlergruß leisten und die linke Hand in der Tasche zur Faust ballen – erfüllt von dem Wunsche, dass eine Änderung des Regimes sich so bald wie möglich vollziehen möge. So konnte sich der ‚Arier‘ wenigstens nach außenhin tarnen und seine wahre Gesinnung verstecken. Damit konnte man sein Leben retten. Dies konnten unsere jüdischen Kameraden nicht.“

Rose Jochmann schied im Jahre 1967 aus dem Nationalrat aus und widmete sich ab diesem Zeitpunkt der Aufklärungsarbeit über den Nationalsozialismus und den Austrofaschismus. Als Zeitzeugin „pilgerte“ sie durch die österreichischen Schulen und versuchte, den nächsten Generationen, Faschismus und Nationalsozialismus in ihren realen Auswirkungen zu vermitteln. Am 28. Jänner 1994 verstarb sie in Wien.