Warum die Globalisierungsdebatte rund um eine globale Kultur westzentristisch definiert ist und warum sie deshalb scheitern muss.

 

Bei der Auseinandersetzung mit den Fragen der Transformation des staatlichen Ordnungsmodelles und den damit verbundenen Dilemmata auf der Ebene der demokratischen Normfindung und Normsetzung wurde versucht, einerseits die Relativität des damit verbundenen „Neuartigen“ herauszustreichen, andererseits die Transformation an sich relativiert. Dies sollte zur „Gesamtrelativierung“ der aktuellen „Globalisierungsdiskussion“ führen. Zur Abrundung dieses Unterfanges muss noch die Frage, wo und für wen dieser Transformationsprozess, der offensichtlich, wenn auch nicht in der Vehemenz und den unterstellten Konsequenzen beobachtbar ist, aktuell und von Bedeutung ist. Basam Tibi hat  seinen Ausführungen über den Krieg der Zivilisationen auf die von Samuel Huntington ausgelöste Debatte um den Kampf der Kulturkreise die These vom Aufstand der lokalen Kulturen vor allem in den nicht-westlichen Teilen der Welt vertreten. Er spricht damit jene – noch immer aufzuarbeitende, vom Kolonialsystem begründete und von dem westlichen politischen Anspruch auf die Vormacht tradierte – Emanzipationsbewegung an, die in der gesamten „Globalisierungsdebatte“ zumeist marginalisiert bzw. vernachlässigt wird: Jene Emanzipationsbewegung der nicht-westlichen Kulturen, die einen Gegenentwurf zum westlichen Modell verwirklichen.

 

Huntington, Tibi u. a., die sich mit den nicht-westlichen Konfliktherden und der Gleichzeitigkeit differierender Entwicklungen auseinandersetzen, verweisen zumeist auf das Problem der Identitätssuche der Gesellschaften in diesen Regionen der Welt. Diese Identitätssuche mit ihrer auch fundamentalistischen Konsequenz ist sicherlich primär auf der politischen Ebene eine Frage des Machterhalts bzw. der Elitenablöse, aber damit ist sie auch in einem ursprünglichen Maße eine Frage der Suche nach einer eigenen, nicht vom „Westen“ und seinen Werte- und Moralvorstellungen diktierten, Identität. Stuart Hall zeigt in seiner Darstellung über Globalisierung und Ethnizität, dass die Aufnahme der Geschichte der nicht-westlichen Gesellschaften in die Geschichtsschreibung ein Teil der Identitätsgestaltung und Emanzipation ist. Diese Emanzipation der nicht-westlichen Staaten und Gesellschaften ist mit der Suche nach einer eigenen, authentischen Identität verbunden, die immer auch als Abgrenzung gegenüber dem Westen, aber zwangsläufig auch als Gegenbewegung zur westzentristischen Globalisierung verstanden werden muss. Wir treffen hier auf eine Machtverschiebung weg vom Westen und seinen Wert- und Moralvorstellungen, die sich nicht nur in der Verschiebung im Bereich der Wirtschafts- und Finanzmacht nachvollziehen lässt, sondern auch im Selbstbewusstsein der nicht-westlichen Staaten und Individuen.

 

Für die Frage nach einer möglichen „Globalisierung“ der einzelnen Gesellschaften, der Entstehung einer Weltgesellschaft oder universalen Kultur sind beide angesprochenen Tendenzen innerhalb der nicht-westlichen Teile der Welt, also dem überwiegenden Teil, von unterschiedlicher Bedeutung. Die Rückzugspolitik auf die „eigenen Werte“ ist offenkundig eine mit dem (westlichen) Universalisierungsanspruch nicht kompatible politische, soziale und ideologische Erscheinung, die diese zwangsweise in Frage stellen muss. Was uns hier beschäftigt ist die Frage, inwieweit diese politisch-sozialen-ideologischen Emanzipationen den Anspruch auf eine minimale universelle Kultur (siehe Menschenrechte) legitimer Weise in Frage stellen kann oder muss. Der zweite Aspekt, jener der Machtverschiebung weg vom Westen hin zu den nicht-westlichen Staaten, hat seinerseits weniger mit der Frage der „Globalisierung“ zu tun, sondern ebenfalls mit der Frage nach den Anspruch einer universellen Kultur der Demokratie und Menschenrechte.

 

Huntington schreibt: „Die Nichtwestler betrachten als westlich, was der Westen als universal betrachtet.“ Damit spricht er den zentralen Gedankenfehler der Universalisierung-Globalisierungsvorstellung an, der sie ad absurdum führen muss, denn die mit der Universalisierungs-Globalisierung verbundenen Vorstellungen sind - auf der Grundlage der westlichen Ideengeschichte, der westlichen Wertvorstellungen und den weltpolitischen Erfahrungen der westlichen Gesellschaften beruhende - (west)eurozentrische Homogenisierungsvorstellungen. In der Universalisierungs-Globalisierungsdiskussion huldigt sich der Westen und versucht wieder einmal seine Wert- und Moralvorstellungen als Basis zur Glückseligkeit zu verkaufen. Ein Teil der Universalisierungs-Globalisierungsvorstellung und der damit verbundenen Diskussion ist damit nichts anderes als eine säkularisierte Missionsbewegung (die aufgrund der Möglichkeiten und Veränderungen des Informationszeitalters wieder aufgeflammt ist). Aber auch jener Teil, der Diskursbeiträge, die weit von einer Missionierung entfernt sind, beruhen auf der Vorstellung, dass das westliche Kultur- und Wertemodell nachahmenswert und erstrebenswert für alle bzw. die einzig vorstellbare Antwort auf gleiche oder ähnliche Rahmenbedingungen sei.

 

Samuel Huntington stellt in seiner wegweisenden Aufarbeitung die These von der Angleichung der unterschiedlichen Kulturen mehr als deutlich in Frage, nicht nur durch den Hinweise auf die Gleichzeitigkeit mehr oder weniger inkompatibler Gesellschaften zwischen Tradition und Moderne,  sondern auch durch die Ablehnung der Vorstellung, die Verbreitung von Pop-Kultur und der Konsumgüter stelle einen Triumph der westlichen Zivilisation dar, was er als Trivialisierung der westlichen Kultur bezeichnet. Wenn wir Huntingtons Ausführungen, die in der Tradition der nicht-westzentristischen politischen Aufarbeitungen stehen und vielfach abgesichert sind, nachgehen und sie als zutreffend akzeptieren, dann müssen wir drei Relativierungen der aktuellen Universalismus-Globalisierungsdiskussion  zusammenfassend anführen. Erstens müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die These von der Annäherung der Gesellschaften in einem homogenisierenden Sinn nur dann zutrifft, wenn wir dies auf den westlichen Kulturkreis bzw. auf die Eliten beschränken. Die interne Angleichung der Gesellschaften des westlichen Kulturkreises ist dann von zentraler Bedeutung, wenn wir die Grenzen der Diskursmöglichkeit erörtern, wie wir gesehen haben, was ein entscheidendes Detailkriterium darstellt, jedoch trotz der Bedeutung des Aspektes nicht allein ausschlaggebend sein kann. Mit der Universalisierungs- und Globalisierungsfrage ist jedoch zwangsweise die Annäherung der Gesellschaften weltweit avisiert. Diese Annäherung kann jedoch nur marginal beobachtet werden. Bis jetzt deutet nichts darauf hin, dass die Entwicklung weltweit von zentraler Bedeutung ist.

 

Gehen wir zweitens trotz dieser Einwände von einer Universalisierungs- und Globalisierung - also Homogenisierungstendenz aus, dann müssen wir bekunden, dass diese Homogenisierung nur unter dem Vorzeichen der westlichen Vorherrschaft und der Vorgabe des Musters nach westlichem Modell erstrebt wird. Ich unterstelle den VertreterInnen der Realisierung der universalen Kultur und Gesellschaft, dass sie diese Vereinheitlichung nicht unter den Werte- und Moralvorgaben der nicht-westlichen Kulturen vollzogen sehen wollen, wobei ich hier westzentristisch von der Bevorzugung von Gleichheit, Freiheit, Individualität und Demokratie ausgehe. Die Universalisierungs- und GlobalisierungsbefürworterInnen sehen die positiven Möglichkeiten für Emanzipation und Gerechtigkeit unter der Maximen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, mit der Durchsetzung der Universalität der Menschenrechte und den anderen hehren Idealen der Aufklärung und politischen und sozialen Emanzipation. So erstrebenswert die Realisierung dieser Vorstellungen auch ist, wir kommen nicht umhin zuzugeben, dass sie die westlichen Werte- und Moralvorstellungen, die westlichen Ideen von einer gerechten Gesellschaft manifestieren. Damit sprechen wir ein paar der großen Legitimationsfragen an. Kann eine Universalisierungs- und Globalisierungsdiskussion ohne ethische Vormachtansprüche diskutiert werden? Bzw. welche Legitimation haben die Vertreter des radikalen Differenzanspruches Diskriminierung, Entrechtung und Ausbeutung der eigenen Bevölkerung oder Teile davon unter dem Vorwand der Priorität der Authentizität der Differenz schützen? Mit diesen Legitimationsfragen landen wir logischerweise wieder in der Diskussion rund um die Problematik der Möglichkeiten und Grenzen des postkonventionellen Diskurses, was zwar die Überlappung der Problemfelder verdeutlicht, jedoch keine Lösungskompetenz beinhaltet.

 

Beide Punkte ergeben notwendigerweise den dritten anzuführenden Punkt, der gleichzeitig das Resümee dieser Stellungnahme ist:

 

Der offensichtlich stattfindende Transformationsprozess des nationalstaatlichen Ordnungsmodelles kann weder einseitig als Entwicklung hin zu einem supranationalen demokratischen Ordnungsmodell, noch als Universalisierung oder Globalisierung der Menschenrechte und der Freiheits- und Gleichheitsideale interpretiert werden. Die Akzeptanz der Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit kann jedoch nicht die Forderung nach Gleichheit, Freiheit und Menschenrechten für alle abschwächen. Fordern wir jedoch die Ausbreitung von Demokratie und Menschenrechten, dann muss uns bewusst sein, dass diese hehren Anliegen auf unseren westlichen Werten beruhen, und damit westzentristisch sind.